33. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung

33. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung

Organisatoren
Schwerter Arbeitskreis Katholizismusforschung (SAK)
Ort
Schwerte
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2019 - 24.11.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Daniel Gerster, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; Florian Bock, Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Ruhr-Universität Bochum

Vom 22. bis zum 24. November 2019 trafen sich circa 35 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen wie Theologie, Geschichtswissenschaft und Soziologie zur 33. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung (SAK). Die Tagung, die von den beiden Sprechern Florian Bock (Bochum) und Daniel Gerster (Münster) geleitet wurde, fand wie gewohnt in Kooperation mit der Katholischen Akademie Schwerte des Erzbistums Paderborn statt. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen auch in diesem Jahr die Vorstellung und Diskussion laufender Forschungsarbeiten zur Katholizismusforschung. Die Generaldebatte am Sonntagvormittag widmete sich dem Thema „‚Zukunft bei Gott‘ oder ‚Himmel auf Erden‘? Katholizismus und Zukunftserwartungen im 19. und 20. Jahrhundert“.

Zum Auftakt der Tagung ging MARTIN BELZ (Mainz) am Freitagabend der Frage nach, wie sich die innerkirchliche Laienpartizipation in Frankfurt am Main zwischen 1945 und 1971 im Rahmen der allgemein einsetzenden Transformationsprozesse interpretieren lasse. Am Beispiel von Katholischer Volksarbeit, Pfarrausschüssen und Synodalräten zeichnete er nach, dass die Entwicklung eines verstärkten Laienengagements nach 1945 zunächst von der Ebene der Stadtkirche ausging. Erst ab Beginn der 1960er-Jahre konnten Laien zu Impulsgebern eines neuen Gemeindeverständnisses werden. Insbesondere anhand der nachkonziliaren Synodalordnung konnte Belz in seiner Analyse, die auf seiner 2017 abgeschlossenen Dissertation gründete, zeigen, dass von Frankfurt wichtige Impulse für das Bistum Limburg bei der Partizipation von Laien ausgingen.

Den Samstag eröffnete MAIK HENNING KEMPE (Münster) mit einem Vortrag zum „System Althoff“. Ziel des Promotionsvorhabens ist es, die Berufungsverfahren von Theologieprofessoren an die damalige Akademie (ab 1902 Universität) in Münster zu rekonstruieren, und der Frage nachzugehen, welchen Einfluss der preußische Kulturpolitiker Friedrich Althoff (1839–1908) auf die Katholisch-Theologischen Fakultäten Preußens in staatlicher Trägerschaft ausübte. Kempe machte deutlich, dass Althoff eine unbürokratische und autokratische Berufungspolitik verfolgte und für die Durchsetzung seiner Ziele auf ein breites Netzwerk von Informanten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zurückgriff. Als konkretes Fallbespiel skizzierte er das Berufungsverfahren des Breslauer Kirchenhistorikers Max Sdralek (1855–1913), einem dezidierten ‚Staatskatholiken‘, der 1884 von Althoff als Ordinarius für Kirchengeschichte gezielt nach Münster berufen wurde, um die Ausbildung ultramontaner Kleriker an der Akademie einzudämmen.

RINGO MÜLLER (Erfurt) gab im Anschluss Einblicke in sein Forschungsprojekt zu Bildungswegen junger Christ/innen in der DDR. In den Mittelpunkt seines Werkstattberichtes stellte er vielgestaltige Chancenungleichheiten des sozialistischen Bildungssystems. Müller machte deutlich, dass infolgedessen Schüler/innen und Eltern unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit mit vielschichtigen wie prekären Privilegierungen konfrontiert waren. Die daran anschließenden weitreichenden Ermessensspielräume staatlicher Akteure seien der Ausgangspunkt fortwährender Auseinandersetzungen zwischen Kirchen- und Staatsvertretern gewesen. Diese ermöglichen rückblickend Einsichten in eigensinnige Erzählungen und widersprüchliche Praktiken der Bildungsakteure. Müller hob hervor, dass die daraus hervorgehende Perspektive neue Zugänge zu einer sozialistischen Bildungsgeschichte eröffnet, die vertiefend darlegen kann, was Bildung in ihren vielfältigen Facetten für Christ/innen in der DDR bedeuten konnte.

Einen weiteren bildungshistorischen Werkstattbericht bot HENNING WACHTER (Paderborn), der den Stand seiner Forschung zur Geschichte der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHO) skizzierte. Wachter stellte zunächst heraus, dass die Geschichtswissenschaft Fachhochschulen als Thema bisher weitgehend vernachlässigt habe. Die Untersuchung zur Katholischen Fachhochschule könne hier daher ganz grundlegend eine Forschungslücke schließen. Darüber hinaus bestehe ein besonderes Forschungsinteresse an der KatHO, die durch ihre Alleinstellungsmerkmale als eine katholische, staatlich refinanzierte Hochschule mit katholischem Leitbild und stark spezialisiertem Fächerkanon einzigartig in der deutschen Hochschullandschaft sein.

Am Samstagnachmittag beleuchtete JAN H. WILLE (MÜNSTER) in seinem Beitrag die nach Kriegsende 1945 maßgeblich vom Heiligen Stuhl initiierte und von der Bundesregierung aufgegriffene Strategie des verwaltungspraktischen Faktensetzens zur Sicherung der Fortexistenz des Reichskonkordates. Anhand der Umsetzung von vier Konkordatsartikeln legte er die kurialen und staatlichen Versuche offen, die staatskirchenrechtliche Vergangenheit mit Hilfe der Verwaltung bruchlos mit der Gegenwart zu verbinden. Dabei stellte er dar, dass bei der Umsetzung der Paragrafen nicht etwa die reellen Konsequenzen für die Lebenswirklichkeit der Gläubigen und ihrer Hirten vordergründig waren, sondern vielmehr die reichskonkordatären Verwaltungspraktiken die „normative Kraft des Faktischen“ (Georg Jellinek) entfalten sollten.

ANNA REINHARDT (Erfurt) schilderte in ihrem Vortrag die Grundzüge ihres Promotionsprojekts zur deutsch-polnischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwei Katholiken aus der DDR, Pfarrer Kurt Reuter in Eberswalde und Seelsorgeamtsmitarbeiter Günter Särchen in Magdeburg, werden hierin als Hauptakteure in den Blick genommen. Gegenstand der Untersuchungen sind deren spezifische Prägungen und Motivationen, ihr jeweiliges Versöhnungsverständnis sowie die verschiedenen Entfaltungsräume und konkreten Aktivitäten zur Versöhnungsarbeit seit den 1950er-Jahren.

Zum Abschluss der Präsentation aktueller Forschungsprojekte präsentierte DAVID RÜSCHENSCHMIDT (Münster) sein Dissertationsvorhaben zum Verhältnis von Christentum und Islam in der religiösen Zeitgeschichte anhand christlich-islamischer Dialog-Initiativen in Nordrhein-Westfalen, die er als verdichtete und eingebettete Begegnungsformen auffasst. Auf der Grundlage eines religionsübergreifenden und ambiguitätstoleranten Selbstverständnisses hätten diese als kollektive Akteure in lokalen zivilgesellschaftlichen Kontexten integrativ agiert, gesamtgesellschaftlichen Stereotypen gegenüber „dem Islam“ jedoch kaum signifikant entgegenwirken können.

Der Samstagabend stand wie üblich in lockerer Vorbereitung des Themas der Generaldebatte am nächsten Tag. NICOLE PRIESCHING (Paderborn) führte hierzu ein Zeitzeugengespräch zu den sich wandelnden Zukunftserwartungen im Katholizismus nach 1945. Ihre Gesprächspartner waren der Benediktinerpater ELMAR SALMANN, der viele Jahre als Professor für Philosophie und Systematische Theologie in Rom tätig war, und Pfarrer NORBERT ARNTZ, ein durch sein jahrelanges Engagement in Südamerika ausgewiesener Kenner der Befreiungstheologien. Das tiefgründig ebenso wie humorvoll geführte Gespräch verdeutlichte, wie der katholische „Erwartungshorizont“ im Verhältnis zum gesellschaftlichen und persönlichen „Erfahrungsraum“ (Reinhart Koselleck) sich sukzessiv veränderte. Mit Erstaunen nahmen die Zuhörer/innen zur Kenntnis, dass die beiden Akteure trotz der unterschiedlichen Lebensläufe ähnliche Hoffnung (und Zweifel) mit Blick auf die Zukunft des Katholizismus teilten.

Die Generaldebatte des Schwerter Arbeitskreises widmete sich am Sonntagvormittag vergangenen Zukunftserwartungen von Katholikinnen und Katholiken. Von Interesse waren hierbei nicht nur die Inhalte solcher Überlegungen, sondern auch ihr Modus. Vor dem Hintergrund religiöser Jenseitsorientierung galt es zu fragen, inwiefern es sich bei den Erwartungen von Christinnen und Christen um positiv konnotierte Utopien handelte, oder im Gegensatz um angstgeleitete Dystopien oder gar apokalyptische Endzeitvorstellungen.

In seinem Eingangsvortrag zur Generaldebatte „Gotteszeit und Menschenzeit“ berichtete LUCIAN HÖLSCHER (Bochum) zunächst über die Interpretation der „Nähe des Weltendes“ in der deutschen Predigtliteratur im Kontext der Erweiterung des geschichtlichen Erwartungshorizonts der Neuzeit und arbeitete auf dieser Grundlage die Differenz von „Präsenz“ und „Gegenwart“ als theologisch-säkulare Zeitkategorien heraus. NICOLAI HANNIG (München) untersuchte in seinem Vortrag moderne Vorsorgepraktiken. Dabei stellte er vor, wie in Bereichen der Technik, Versicherung und im Kulturwesen mit Entwürfen spezieller „Vorsorge- und Gefahrenzukünfte“ gearbeitet wird. Diese dienten dazu, Zustimmung für Vorsorge zu generieren und andere von der Notwendigkeit entsprechender Verfahren zu überzeugen.

In der anschließenden Diskussion begrüßten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die von den Referenten benannten Forschungsperspektiven und -fragen, wobei deutlich wurde, dass über das Spezifische von katholischen Zukunftserwartungen im 19. und 20. Jahrhundert noch wenig bekannt ist. Im Anschluss an bisherige historische Forschung zur Vergangenheit der Zukunft böte sich hier, so der Tenor, für zukünftige Forschung ein weites Feld.

Der Schwerter Arbeitskreis Katholizismusforschung wird sich auch im kommenden Jahr wieder zu seiner Jahrestagung zusammenfinden. Diese wird vom 20. bis 22. November 2020 in der Katholischen Akademie Schwerte stattfinden.

Konferenzübersicht:

Martin Belz (Mainz): Pfarreien im Wandel. Pastorale Konzeption, Partizipation der Laien und liturgische Erneuerung in Frankfurt am Main 1945–1971

Maik Henning Kempe (Münster): Das „System Althoff“ und die Katholisch-Theologische Fakultät Münster. Berufungspolitik im Spannungsfeld von Staat und Kirche 1882–1907

Ringo Müller (Erfurt): Zur Erforschung christlicher Bildungs(um)wege in der sozialistischen Gesellschaft. Ein Werkstattbericht

Henning Wachter (Paderborn): Die Geschichte der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen – ein Werkstattbericht

Jan H. Wille (Münster): „Wie selbstverständlich einhalten.“ Normensetzende Verwaltungspraktiken beim Reichskonkordat nach 1945

Anna Reinhardt (Erfurt): Deutsch-polnische Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Initiativen katholischer Christen aus der DDR

David Rüschenschmidt (Münster): Zwischen Kirchturm und Minarett. Der christlich-islamische Dialog in Nordrhein-Westfalen seit 1973

Lucian Hölscher (Bochum): Zum Verhältnis von Gotteszeit und Menschenzeit. Reflexionen

Nicolai Hannig (München): Risiken der Zukunft


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger